Das Gebärhaus

   ► Aufnahmebedingungen und Anonymität

Die wichtigste Bedingung für die Aufnahme der Mütter ins Gebärhaus war, dass sie ledig waren, wobei verwitwete Mütter diesen gleichgestellt waren. Die Möglichkeit der anonymen Geburt war den Müttern von Beginn an garantiert und selbst vor Gericht durfte der Aufenthalt im Gebärhaus nicht als Indiz für eine heimliche Geburt gewertet werden.

Die Bedingungen für wohlhabende und arme Frauen waren unterschiedlich:

  • Die Gratisabteilung konnte von Frauen in Anspruch genommen werden, wenn sie ein Armutszeugnis vorlegten und somit dem Gebär- und Findelhaus ihre persönlichen Daten bekanntgaben. Diese Variante wählten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr als 90 % der Frauen. Die Unterbringung erfolgte in den damals üblichen großen Schlafsälen. In der Zeit vor der Geburt wurden sie für Arbeiten herangezogen. Von den Frauen wurde weiters erwartet, dass sie für die Ausbildung von Geburtshelfern und Hebammen als Studienobjekte und später für vier Monate dem Findelhaus als Ammen zur Verfügung standen.
  • Frauen konnten die Dienste des Gebärhauses gegen Bezahlung einer festgelegten Taxe in Anspruch nehmen, wodurch sie besser untergebracht wurden und ihr Neugeborenes im Findelhaus zurücklassen konnten, ohne nach ihrem Namen gefragt zu werden. Sie hatten lediglich einen versiegelten Umschlag mit ihrem Namen abzugeben, damit im Todesfall ihre Familien verständigt werden konnten; den Umschlag bekamen sie beim Verlassen des Gebärhauses wieder zurück. Ihnen wurde die Möglichkeit geboten, das Allgemeine Krankenhaus durch ein eigenes Tor in einer stillen Seitengasse – das "Schwangerthor" in der Rotenhausgasse – diskret "mit Larven verschleiert, und überhaupt so unkennbar als sie immer wollen" zu betreten und wieder zu verlassen.

In den ersten Jahren der Anstalt konnten sich noch 70 % der Frauen diese Anonymität leisten, ihre Zahl sank allerdings im Laufe der Jahre. In den 1860er-Jahren setzte eine Diskussion um die Anonymität ein. 1899 kam es schließlich zur endgültigen Aufhebung des Anspruchs auf Anonymität.

   ► Die Mütter

Das Bild der ledigen Mütter, welches zur Zeit der Existenz des Gebärhauses kolportiert wurde, lässt sich anhand eines anlässlich der Eröffnung des Allgemeinen Krankenhauses verfassten Textes ablesen:

„Rückwärts zur Rechten stößt das sogenannte Gebärhaus an, wo die Aufnahme wieder nach verschiedenen Klassen geschieht. Hier wird das Schlachtopfer der Verführung und die schamlose Freudendirne mit gleicher Menschlichkeit aufgenommen. […] Hier wird sie Mutter, und verläßt das Haus, ohne erkannt zu werden.“

Lohnabhängigen Schichten

Die Frauen, die ins Gebärhaus kamen, entstammten überwiegend den lohnabhängigen Unterschichten, deren Heirat häufig durch den politischen Ehekonsens verhindert wurde. Frauen dieser Klasse konnten es sich außerdem nicht leisten, längere Zeit dem Erwerbsleben fernzubleiben, Frauenlöhne lagen weit unter jenen der Männer und ein Pflegeplatz für ein Kind war damit nicht finanzierbar. Zu einem überwiegenden Teil waren die Frauen, die das Gebärhaus aufsuchten, Dienstmägde. 

Geografische Herkunft

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ist über die geographische Herkunft der Mütter nur wenig bekannt. Da von der Möglichkeit, die Verpflegungskosten von der Herkunftsgemeinde der Mütter einzufordern, zunächst kein Gebrauch gemacht wurde – das Dienen der Frauen als Studienobjekte galt als ausreichende Gegenleistung –, wurden keine Aufzeichnungen über die Herkunftsorte geführt. Das Einzugsgebiet der Anstalt dürfte aber aufgrund der geringen Mobilität zu dieser Zeit nicht besonders groß gewesen sein. Die Herkunftsorte, die sich über die Monarchie verteilten, waren jedoch nicht unbedingt identisch mit den Wohnorten. Die Heimatgemeinde änderte sich für Frauen üblicherweise nur durch Heirat. Die Aufzeichnungen der Herkunftsorte sagen daher nichts darüber aus, wo die Mütter tatsächlich lebten.

Die Frauen, die das Gebärhaus aufsuchten, waren demnach überwiegend in Niederösterreich, Böhmen, Mähren und Ungarn heimatberechtigt. Aufzeichnungen über den letzten Wohnort liegen lediglich für das Jahr 1888 vor, wonach 76,5 % der Mütter in Wien und dem (zwei Jahre später eingemeindeten) Umland lebten. Dass die Gebärhausklientel sich zu einem großen Teil aus zugewanderten Frauen zusammensetzte, wird auch durch die soziale Stellung der Frauen bestätigt, denn die Wiener Dienstmädchen, die die größte Gruppe unter den Müttern ausmachten, waren ebenfalls vorwiegend Zuwanderinnen.

   ► Ablauf

Frauen kamen üblicherweise am Tag vor der Geburt in das Gebärhaus. Über ihre Aufnahme entschied die Oberhebamme nach einer körperlichen Untersuchung. Bereits zu einem früheren Zeitpunkt konnten die Schwangeren aufgenommen werden (was zum Beispiel die Geheimhaltung erleichterte), wenn sie sich den Wärterinnen als Magd zur Verfügung stellten. Die Statuten sahen grundsätzlich vor, dass die Schwangeren der Gratis-Abteilung zu Arbeiten, die für den Betrieb des Findelhauses notwendig waren, eingeteilt wurden. Erst 1900 wurden sie von „groben Arbeiten“ ausgenommen, zu diesen gehörten etwa Holzspalten, Wäschetragen und ‒ bis zur Anbindung an die Wiener Hochquellenleitung 1875 ‒ Wasser in höhere Stockwerke tragen. Ab 1900 wurden schwere Arbeiten von Taglöhnern erledigt.

Den Neuaufgenommenen wurde zunächst die Beichte abgenommen, ab 1822 bekamen sie zudem Religions- und Sittenunterricht ‒ was sonst im Allgemeinen Krankenhaus nur in der Syphilis-Abteilung üblich war.

Moralische Verurteilung

Verena Pawlowsky stellt dazu fest: „Das als Humanitätsanstalt gepriesene Gebär- und Findelhaus brach keineswegs mit der moralischen Verurteilung ledig gebärender Frauen.“

Die Oberhebamme war für die Geburtsbetreuung zuständig, ihr standen zwei Praktikanten zur Seite. Die große Zahl an Entbindungen lässt jedoch vermuten, dass einfache Geburten von Praktikanten oder Hebammenschülerinnen allein begleitet wurden. Erst bei schwierigen Fällen, wenn etwa der Einsatz der Geburtszange notwendig war, musste die Oberhebamme den Professor oder dessen Assistenten zu Hilfe holen. Sie musste dann „als Kunstgehülfinn, und gleichsam als einzige weibliche Autorität und Zeuge, selbst zur Beruhigung der leidenden Gebärenden, bey der Operation gegenwärtig seyn“. 

Die Betten in den zu jeder Abteilung gehörenden Kreißzimmern unterschieden sich von normalen Betten lediglich durch bewegliche Seitengriffe für die Hände der Gebärenden. Gebärstühle, wie in anderen Städten bereits üblich, fehlten.

Die Säuglinge wurden schnellstmöglich in der Hauskapelle getauft, in kritischen Fällen erfolgten sofortige Nottaufen durch die Hebamme. Dabei wurden jene Findelkinder, die in der Gratisabteilung zur Welt gekommen waren, ungeachtet der Konfession ihrer Mütter katholisch getauft. In der Bezahlabteilung waren Kinder von Müttern protestantischen Glaubens von der Zwangstaufe ausgenommen, die Kinder wurden trotzdem katholisch erzogen. Kinder jüdischer Herkunft wurden katholisch zwangsgetauft. Erst 1868 sah man von der katholischen Zwangstaufe ab, die Mütter konnten nun die Religion ihrer Kinder selbst wählen.

Nach der Geburt blieben die Mütter mit ihren Kindern noch einige Tage im Gebärhaus, um sie zu stillen. Frauen aus der Gratisabteilung waren verpflichtet, sich nach Entlassung im Findelhaus als Amme vorzustellen, wobei nur ein geringer Teil aufgenommen wurde. Einige wurden durch das hauseigene Säugammeninstitut an Privatpersonen vermittelt.

   ► Die Väter

Es entsprach dem Verständnis von Anonymität, dass nach den Vätern der unehelichen Kinder nicht geforscht wurde, das besagten auch die Direktivregeln. Daran änderte sich auch nichts, nachdem 1811 die Unterhaltspflicht des Vaters im ABGB eindeutig geregelt wurde.

Berufsstände und Alimente

Allerdings finden sich in den Findelhausbüchern Aufzeichnungen für die ersten Wochen des Jahres 1784, darin wurden die Väter in 93,4 % der Fälle unter Angabe ihres Berufes eingetragen.

  • Die mit 37,5 % größte Gruppe waren Angehörige verschiedener Gewerbe, diese waren zur Hälfte Gesellen.
  • Soldaten waren mit 29,7 % die zweitgrößte Gruppe,
  • "Bediente" und Knechte waren zu 25,8 % vertreten.

Ebenso berichtete der langjährige Anstaltsdirektor Carl Friedinger von seinen Beobachtungen, wonach viele der Väter Soldaten oder Handwerker waren.

Die Väter waren also überwiegend selbst nicht in der Lage, zu heiraten und einen Hausstand zu gründen. Die allgemeine Annahme, uneheliche Kinder wären in Beziehungen zwischen Dienstherren und Dienstbotinnen gezeugt worden, dürfte daher nicht der Realität entsprochen haben.

Als das Findelhaus durch die sinkende Kindersterblichkeit immer mehr Kinder versorgen musste, konnte auch die sukzessive Beschränkung der Anstalt auf die niederösterreichischen Landesangehörigen die Kostenexplosion nicht eindämmen.

Es dauerte bis 1905, bis die Heranziehung der Väter für den Unterhalt der Kinder ins Auge gefasst wurde. Dafür war eine Änderung des Statutes durch den niederösterreichischen Landtag notwendig, laut dem es bis dahin untersagt war, die Mutter nach dem Kindesvater zu fragen.

Im Juli 1907 eine Rechtsschutzabteilung eröffnet. Deren Aufgaben waren die Abwicklung der vormundschaftlichen Geschäfte und die Geltendmachung der Alimentationsansprüche der unehelichen Kinder gegenüber ihren Vätern.

Die Umsetzung des seit 1811 im ABGB festgeschriebenen Rechtes der Kinder nach fast hundert Jahren erfolgte somit in erster Linie aus finanziellen Aspekten.


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