Pflegeplätze
Die Organisationsform, Kinder in Aussenpflege auf Pflegeplätze zu geben, entsprach den Empfehlungen der Gelehrten des Waisenhausstreits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ziel war dabei das Überleben der Säuglinge, pädagogische Konzepte gab es nicht. Angeworben wurden die Pflegefrauen ‒ ganz dem Josephinismus entsprechend ‒ in Kooperation mit der Kirche. Schon im Jahr der Eröffnung des Findelhauses wurde Pfarrern aufgetragen, von der Kanzel herab die Möglichkeit zu diesem gottgefälligen Werk publik zu machen und auch später von Zeit zu Zeit zu predigen. Es kamen jedoch die wenigsten Pflegefrauen aus christlicher Nächstenliebe.
Anforderungen an die Pflegefrauen und Kontrollen
Die Pflegefrauen mussten verheiratet oder verwitwet sein, sollten ein eigenes Haus am Land bewohnen, milchgebende Tiere besitzen und nach Möglichkeit zum Stillen in der Lage sein. Das Wohlfahrtszeugnis, mit welchem diese Fakten zu belegen waren, mussten sie gemeinsam mit einem Sittlichkeitszeugnis vorweisen, ehe sie ein Kind ausgefolgt bekamen.
Ab 1890 mussten die Wohlfahrtszeugnisse zusätzlich Angaben über die Zahl der im Haushalt lebenden Kinder und Erwachsenen sowie Angaben zu Wohnungsgröße und Anzahl an milchgebenden Tieren enthalten.
Kirchliche wie weltliche Behörden, die keine Findelkinder in ihren Gemeinden haben wollten, boykottierten oft die Ausstellung der Zeugnisse ‒ ein Grund, weshalb manchen Pflegefrauen auch ohne Zeugnisvorlage Kinder ausgehändigt wurden. Sämtliche Kosten, wie die Anreise nach Wien oder Gebühren für die Zeugnisse, bekamen sie ersetzt. Sie mussten für die Kinder weder Arztbesuche, Medikamente oder Schulgeld, noch Leichenbeschau und Beerdigung bezahlen, für Findelkinder war das kostenfrei. Übernahmen die Pflegefrauen ein Neugeborenes, bekamen sie auch ein Wäschebündel und zudem ein höheres Pflegegeld als für ältere Kinder. Erlebte das Kind den ersten Geburtstag, stand ihnen eine Extrazahlung zu.
Zur Kontrolle wurden Inspektoren eingesetzt, aber auch Pfarrer und Ortsobrigkeiten sowie Kreis- und Distriktärzte und später Landesimpfärzte wurden in die Überwachung einbezogen. Innerhalb Wiens und in den Vorstädten gab es einen eigenen Visitator, ab 1788 waren es drei und ab 1824 vier. Die Kontrollore konnten jedoch nur punktuell wirken, sodass der Leitung des Findelhauses die Konfrontation mit extremen Fällen von Kindesvernachlässigung nicht erspart blieb. So berichtete etwa ein Arzt, der als Findelkindaufseher fungierte, im Jahr 1825 von "elenden feuchten Hütten", in welchen sich etwa folgendes Bild bot:
Stillen
Pflegefrauen, die zum Stillen in der Lage waren, wurden als Brustparteien bezeichnet und bei der Vergabe der Kinder bevorzugt. Durch die enorme Zahl an Findlingen standen jedoch nicht genügend Frauen zur Verfügung, die diese Anforderung erfüllten, weshalb die Säuglinge oft nach acht Tagen im Gebärhaus, wo sie von ihrer Mutter gestillt wurden, und einem Tag Ammenmilch im Findelhaus, auf Ersatznahrung umgestellt wurden, zumeist mit Wasser verdünnte Kuhmilch. Das überlebten nur sehr robuste Kinder. Ein Arzt in den 1870er-Jahren schätzte, dass die Todesursache bei 40 bis 70 % der verstorbenen Säuglinge Verdauungserkrankungen waren.
Wohnort und soziale Lage der Pflegefamilien
In den Anfangsjahren des Findelhauses gehörten die Pflegefamilien überwiegend den Berufsgruppen der kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden an, die zweitgrößte Gruppe waren Tagelöhner. Einer landwirtschaftlichen Tätigkeit gingen im Jahr 1799 nur 3,8 % der Pflegefamilien nach. Zu dieser Zeit war das Einzugsgebiet der Pflegefrauen noch sehr beschränkt, sie wohnten immer in oder nahe bei Wien, oft in den Vorstädten. Das war auch durch die Findelhausadministration so festgelegt, die verlangte, dass Findlinge im Winter nur an Kostorte, die nicht weiter als fünf Meilen [fast 40 km] von Wien entfernt liegen, abgegeben werden durften. Bis 1840 waren andere Kronländer außer Niederösterreich von der Findelkindübernahme grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmen wurden jedoch gemacht, wenn in Niederösterreich nicht genug Pflegefrauen gefunden werden konnten, oder auch, wenn die Pflegefrau zugleich ein älteres Findelkind zur unentgeltlichen Pflege mitnahm. So wurden beispielsweise 1821 auch Findelkinder an Ungarinnen abgegeben.
Offiziell war es ab den 1840er-Jahren erlaubt, Kinder in die Kronländer abzugeben. Wien sollte nach dem Willen der Findelhausdirektion wegen der überwiegend aus den klassischen Arbeiterbezirken kommenden Pflegefrauen als Pflegeort an Bedeutung verlieren.
In den so entstandenen "Aufnahmezentren" wurden neben Kindern aus dem Wiener Findelhaus auch Kinder aus anderen Anstalten (etwa Prag, Brünn oder Graz) in Pflege genommen, wobei Wien das meiste Kostgeld bezahlte. Niederösterreich war das einzige Land, das Findelkinder ausschließlich aus dem Wiener Findelhaus übernahm.
Missbrauch des Findelwesens
Pflegefrauen gelang es immer wieder, Kostgeld für bereits verstorbene Findelkinder zu beziehen, indem sie entweder den Tod des Kindes nicht meldeten oder andere (eigene) Kinder als Findelkinder ausgaben und illegal besorgte Lebensbestätigungen vorwiesen. Das brachte nicht nur das Kostgeld als finanziellen Vorteil, sondern auch den Gratisbezug von Medikamenten für ein anderes Kind. Auch Nachweise der Stillfähigkeit wurden gefälscht, um schneller an ein Findelkind zu kommen.
Da für Kinder im ersten Lebensjahr das meiste Kostgeld bezahlt wurde, hatten manche Pflegefamilien gar kein Interesse am Überleben der Kinder ‒ sie konnten den toten durch einen neuen Findling austauschen. Diese Form der Engelmacherei fand vielfach Nachahmung.
Für die zum Empfang des Kostgeldes nötigen "Zahlbüchel" wurden bei Kaufleuten Kredite aufgenommen. So befand sich bei Überprüfungen in Ungarn und der Steiermark im Jahr 1881 so gut wie kein Zahlbüchl im Besitz der Pflegefrauen, sondern verpfändet bei Geldboten und Kaufleuten. Wie die schlechte Pflege konnte auch das mit dem vorübergehenden Ausschluss von der Findelpflege sanktioniert werden.
Missbrauch wurde auch durch einige Pfarrämter betrieben, die trotz wiederholter Ermahnungen unerlaubte Gebühren für die Ausstellung der Zeugnisse einhoben. Von manchen Gemeinden sind illegale Gebühren für die Evidenzhaltung der Findelkinder bekannt.
Das meiste Geschäft machten jedoch "Zwischenhändler", die auf lokaler Ebene das Geschäft mit den Findelkindern übernahmen.
Dieser Kinderhandel betraf vor allem einige ungarische Bezirke, wo es dem Findelhaus nicht mehr möglich war, die Kinder wiederaufzufinden, sie gingen einfach "verloren". Nach dem Bekanntwerden dieser Vorfälle in den Jahren 1888 und 1889 verschärfte das Findelhaus die Kontrollen. Pflegefrauen der betroffenen Bezirke mussten eine vom Ortspfarrer verfasste und versiegelte Personenbeschreibung vorweisen. Ungarischen Pflegefrauen wurden keine Zahlbücher mehr ausgehändigt, sondern zur Verwaltung und Auszahlung der Pflegegelder an die jeweiligen Pfarrämter gesendet. Ab 1891 wurden die Verwaltung der Zahlbücher und die Auszahlung der Kostgelder auch in Niederösterreich und bald danach in der Steiermark auf die lokalen Behörden übertragen.
Es wird angenommen, dass die Findelkinder schon in sehr jungen Jahren neben ihrer Funktion als Geldquelle auch als zusätzliche Arbeitskräfte dienten. Sie waren aufgrund ihrer unehelichen Geburt stigmatisiert und führten in den Familien oft ein Außenseiterdasein, das mehr an sehr junge Dienstboten erinnerte.
Der Umgang mit dem Tod
Für Findelkinder, die an ihrem Kostort starben, trug der totenbeschauende Arzt auf dem Kindeszeichen Todesort und Todestag ein, der Pfarrer vermerkte das Datum des Begräbnisses. Kinder, die während des Transports vom Findelhaus zum Kostort starben, wurden bis 1839 ins Findelhaus zurückgebracht, danach mussten sie am Ort des Todes beschaut und begraben werden. Sofern das Kind nicht länger als acht Monate überlebt hat, musste die Pflegemutter das seit 1830 ausgefolgte Wäschepaket ins Findelhaus zurückbringen ‒ abzüglich eines Hemdchens, das als Totenhemd diente.
Starb ein Kind in der Anstalt, wurde die Totenbeschau durchgeführt und das Kind konnte von den Angehörigen begraben werden, die dann allerdings auch für die Kosten aufkommen mussten, was sich die wenigsten leisten konnten. Kinder jüdischer Frauen holte ein Diener der jüdischen Kultusgemeinde ab, die das Begräbnis übernahm. Der Großteil der Kinder diente nach dem Tod der Ausbildung und Forschung der Ärzte. Die spätere Beerdigung fand in Form eines Armenbegräbnisses statt, bei dem zehn bzw. zwanzig Kinderleichen gemeinsam in einen Sarg gelegt wurden. Dafür wurde eine jährliche Pauschale bezahlt. Ab dem 1. November 1874 fanden diese Begräbnisse auf dem Wiener Zentralfriedhof statt.
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